Wenn man schon vor 3-4 Wochen angefangen hätte, durchzugreifen, als die steigende Tendenz sich klar abzuzeichnen begann, aber man es leider offenbar vorzog, sich die Augen zuzuhalten und zu hoffen, dass sie "von selbst" zurückgehen oder stagnieren, hätte man zumindest vorerst, vielleicht auch auf Dauer, Orte mit gutem und durchgehaltenem Hygienekonzept und wenig (dokumentierten) Infektionsfällen wie eben Kinos offenhalten können.
Aber das Problem ist jetzt einfach, dass man so hohe Zahlen und eine so große Dynamik hat, dass man wirklich jede "unnötige" Infektion vermeiden muss, um überhaupt eine Chance zu haben, es wieder in den Griff zu kriegen. Denn selbst wenn es nur um eine einzelne oder einige wenige Ansteckungen geht, es wird dann wieder in Familien getragen, von da in die Schule, an den Arbeitsplatz oder zu anderen Freizeitaktivitäten, und schon sind es 100.
Deswegen geht bei dieser Entscheidung nicht nur darum, wo ein wie hohes Infektionsrisiko besteht, sondern auch darum, die Gründe, warum Menschen aus dem Haus gehen, sich durch die Gegend bewegen und dabei anderen - bekannten wie unbekannten - Menschen geplant und ungeplant begegnen, so weit wie möglich zu reduzieren. Quasi eine Ausgangssperre, ohne eine konkrete Ausgangssperre anzuordnen.
Und das Problem ist eben auch, wenn jetzt der eine eine Ausnahme bekommt, kommt natürlich der andere um die Ecke, bei dem es auch "sicher" ist oder der "nur ganz wenig" beiträgt, und ganz fix hat man wieder quasi alles auf und nichts gewonnen.
Ich habe übrigens schon im Sommer gesagt, der Preis für offene Schulen und Kindergärten im Herbst und Winter könnte sein, dass man ansonsten alles dichtmachen muss, um dem Verbreitungseffekt der Schulen entgegenzuwirken...
Leider ist auch nicht klar genug. wie sicher welche Aktivität und welcher Ort ist.
Im Sommer schien das ja wie von selbst zu funktionieren, aber man weiß eben nicht, ob es daran lag, dass generell so wenige Infizierte unterwegs waren, oder daran, dass die Hygienekonzepte generell funktionieren.
Ob sich das auch jetzt im Winter und mit dem hohen und weiter steigenden Infektionsdruck ausgeht, steht daher auf einem ganz anderen Blatt.
Und irgendwo müssen die vielen unbekannten Infektionsquellen ja liegen. Dass man aktuell bei der Überlastungssituation der Gesundheitsämter keine detaillierte Aufklärung mehr hinbekommt, ist nachvollziehbar, aber der relativ ruhige Sommer hätte genutzt werden können und müssen, um viel mehr über die Ansteckungswege lernen können und damit eben auch darüber, was sicher ist und was nicht. Das würde uns auch jetzt helfen.
Die Hygienekonzepte könnten letztlich aber sogar dazu beitragen, dass die Aufklärung nicht gelingt und die Statistik zugunsten der Infektionen daheim verzerrt wird. Denn während in einem Haushalt nicht nur alle bekannt, sondern auch wegen der nahen Kontakte fast immer alle durchgetestet werden, habe ich schon x-mal gelesen, dass beispielsweise bei einem Fall in einer Schulklasse andere Schüler/innen nicht getestet werden, weil ja die 1,50 eingehalten wurden oder Masken getragen wurden oder oder. Wenn das in Kinos und Theatern auch so gehandhabt wird, wäre ja nie jemand außer den unmittelbaren Begleitern getestet worden und man hätte praktisch gar keine Chance, dort zustandegekommene Infektionsketten überhaupt zu entdecken.
Auch wenn Theater, Kinos etc. jetzt "unschuldig" getroffen werden, es hat immerhin den einen Vorteil: Durch die angeordnete Schließung gibt es einen Anspruch auf Unterstützung, was nicht der Fall wäre, wenn sie zwar öffnen dürften, aber aus unterschiedlichen Gründen die Menschen nicht kommen.(Angst vor Ansteckung, die Gruppe, mit der man hin wollte, darf sich nicht treffen, keine Möglichkeit zur Kombination mit anderen Aktivitäten wie "noch einen trinken gehen"...).
Apropos Unterstützung, eines meiner Stammkinos schaut da möglicherweise in die Röhre. Es hatte einen guten Teil des letzten Jahres wegen Insolvenz geschlossen, wurde dann technisch nochmal auf Vordermann gebracht und hat mit neuem Betreiber im Dezember 2019 zu Star Wars IX wieder geöffnet. D. h. im November 2019 war nix und 75 % von nix ist immer noch nix. Ich hoffe, dass es da noch Alternativregelungen gibt.
Die Frage der Autokinos stelle ich mir übrigens aus ganz persönlichem Interesse auch. Es mögen ja nicht viele sein, aber zumindest die Kinos der Drive-In-Kette, von denen eins fast vor meiner Haustür liegt, spielen ganzjährig und haben ihr mit Einzelterminen bis Weihnachten reichendes Programm zumindest aktuell noch nicht gekappt...
Um in der frustrierenden und besorgniserregenden Situation wenigstens noch einen Positivpunkt zu setzen: Die 3sat-kulturzeit hatte am Dienstag einen Bericht über das Los der Film-/Kinobranche in der Pandemie und dazu dann ein Interview mit Doris Dörrie. Sie meinte darin, dass sie schon in den 70ern ihren Debütfilm über das Kinosterben gemacht hätte und sie seither immer wieder gestorben wären und trotzdem immer noch da sind:
https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/g ... e-100.html
Vielleicht sollte man bei allen faktisch vorhandenen Schwierigkeiten und miesen Aussichten auch einfach mal an etwas
glauben.
Mara
2023: 50 x, 364 €, TOP: Was man von hier aus sehen kann, Close, Sonne und Beton, Die Aussprache, Das Lehrerzimmer, The Whale, Divertimento, One for the Road, Anatomie eines Falls, Dogman