Das finde ich auf jeden Fall ein interessantes Thema!
Ich bilde mir nicht ein, allgemeingültige Antworten liefern zu können, aber hier einige Gedanken aus meinen persönlichen Erfahrungen dazu. (Anmerkung: Mein Umfeld ist eher überdurchschnittlich gebildet, relativ widerstandsfähig gegenüber der Online-Sucht und streamt nur in Einzelfällen - ist dafür aber umso ausgelasteter durch Beruf und Familie und dementsprechend ist die Zeit das allergrößte Problem.)
Aus meiner Sicht ist der wesentliche Punkt das "Zuviel" an Filmen, mit den daraus folgenden Problemen "Kaputtmachen" bzw. Verdrängen (wobei ich das nicht nur auf den zweiten Tag, sondern auch auf weitere Wochen beziehen würde, dazu gleich noch mehr) sowie der Werbung bzw. den Möglichkeiten, potenzielle Besucher (rechtzeitig!) darauf aufmerksam zu machen, dass ein Film überhaupt existiert.
Ich würde gerne sagen, dass die Qualität und Abwechslung auch ein wichtiger Aspekt ist, weil mich das selbst ärgert, aber die Zahlen sprechen leider eine andere Sprache, nämlich dass sich Schrott und Hochwertiges bei den erfolgreichsten Filmen mindestens die Waage halten und dass die meisten Zuschauer offensichtlich doch am liebsten immer mehr vom Gleichen sehen wollen. Was natürlich nicht heißen soll, dass man dieses "Gleiche" nicht wenigstens gut machen kann und damit genauso viele, wenn nicht mehr, Zuschauer anzieht...
Aber wie gesagt, die Filmflut. Sie zwingt einen im Prinzip dazu, die Starttermine und das lokale Kinoprogramm permanent aktiv zu verfolgen, wenn man mitkriegen will, was läuft, was einen davon interessiert und dann den Film auch zu "erwischen", bevor er - manchmal schon nach einer Woche oder sogar nur wenigen Einzelvorstellungen - wieder verschwunden ist. Und dazu haben viele Leute einfach keine Lust bzw. auch gar keine Zeit.
Wenn man dagegen passiv ist und darauf wartet, dass man auf den passenden Film aufmerksam wird, kriegt man das meiste überhaupt nicht mit, und für das, was man zufällig mitkriegt, kann es dann schon zu spät sein.
Wo bekommt denn der (keine einschlägigen Webseiten, Newsletter, TV- und oder Print-Film-Magazine verfolgende) "Normalbürger" schon Informationen darüber, was gerade oder demnächst läuft, wenn er nicht zufällig regelmäßig an einem Kino vorbeikommt und die Poster sieht? Plakate abseits von Kinos gibt es nur in den großen Städten und für "große" bzw. stark gepushte Filme. Zeitschriften und Zeitungen haben zwar oft Filmtipps und -kritiken, bei "besonderen" Starts berichten sogar die Nachrichten am Vorabend, Fernsehwerbung gibt es auch noch gelegentlich (sofern da überhaupt noch jemand hinguckt...) - aber ich glaube, dass bei diesen Aktivitäten der Vorlauf bis zum Start (bzw. bis zum Verschwinden aus den Kinos) oft zu kurz ist. Bis man sich dann mit potenziellen Begleitern geeinigt und einen Platz im Terminkalender gefunden hat, sind schnell 1-2 Wochen ins Land gegangen und dann muss man bei vielen Filmen schon Glück haben, noch eine passende Vorstellung zu finden. Wenn das 1-2 Mal passiert, wendet man sich unter Umständen gefrustet ab.
Und auch bei Filmen, die man schon lange vorher erwartet, muss man sich das Startdatum merken und sich dann rechtzeitig kümmern, damit es auch bestimmt klappt.
Das alles ist Gift für die Motivation beiläufiger Kinogänger, dabei sind die doch so wichtig!
In meinem Umfeld muss ich immer die Organisatorin (man könnte auch sagen, Hintern-Treterin

) geben, dann klappt's mit Kinobesuchen - ansonsten würde kaum einer mal hingehen.
Natürlich sind hohe Preise und ein rücksichtsloses Co-Publikum ebenfalls abschreckend - kommen aber erst zum Zuge, wenn es überhaupt zu einem Kinobesuch gekommen ist.
Ich freue mich übrigens sehr, in den letzten Monaten quasi zwei Kinogänger "erschaffen" zu haben: Ich habe einem schon-ewig-nicht-im-Kino-Gewesenen so lange von Kinobesuchen und kommenden Filmen erzählt, bis er bei einem - als großer Musikfan bei "Bohemian Rhapsody" - angebissen hat. Den hat er mit seiner Frau angeschaut, sie hatten Spaß, fanden den Kerkeling-Trailer gut, haben den angeschaut, fanden den 100 Dinge-Trailer gut, wollten den ebenfalls anschauen und jetzt konnte ich mit "Werbung" für "Die Goldfische" und "Sweethearts" ebenfalls Interesse wecken. Ich hoffe, dass diese Erfolgsgeschichte weitergeht.
Auf jeden Fall ist sie aber symptomatisch: Kinobesuche generieren weitere Kinobesuche!
Mara
2023: 50 x, 364 €, TOP: Was man von hier aus sehen kann, Close, Sonne und Beton, Die Aussprache, Das Lehrerzimmer, The Whale, Divertimento, One for the Road, Anatomie eines Falls, Dogman